Andenken und Anerkennung
Als es im Lauf des Jahres 1945 kein Lebenszeichen von Otto gab, hat man den Status "vermisst" in eine amtliche Todeserklärung umgewandelt.
Sie gilt für die Tarnperson Sergeant Peter Giles. Als Todeszeitpunkt ist dort angegeben "am oder kurz nach dem 1.10.1944":
Im Kreis seiner Freunde hat man "Otto" sicher sehr vermisst und beweint. Der oben abgebildete, von Rudi Edler in Gedichtform verfasste Nachruf zeigt, dass ihm das tragische Schicksal Ottos, dieser liebenswert-schüchternen und doch so draufgängerischen Person, besonders nahe gegangen ist. Rudi Edler hatte als "Bruce Elden" in Deutschland gedient. Das galt auch für Edgar Bender. Er war mit unverändertem Namen als Panzerfahrer nach Deutschland gekommen. Nach Kriegsende arbeitete er als Übersetzer und Dolmetscher beim Intelligence Corps an den Entnazifizierungsprogrammen der Briten mit.
Amtlicher Erinnerungstext
Die Ehrenhalle des Kanadischen Kriegsgräberfriedhofs Groesbeek bei Nimwegen in Holland nahe der deutschen Grenze:
Hier ist auf der Tafel 5 nur zu lesen:
"The Queen's Own Royal West Kent Regiment,
Serjeant Giles P. "
Damit wurde lediglich Ottos Legende mit der Pro-Forma-Regimentszugehörigkeit öffentlich dokumentiert.
Ehrung durch die Ex-Servicemen NB ASC
Diese Holztafel mit aufgeschraubten Namensschildern und einer Widmungs-Platte war nach dem Krieg von der privaten
Veteranenvereinigung "Ex-Servicemen N.B.(Non British) Association" angefertigt worden.
Als der letzte Vorsitzende Peter Eden (ehemals Werner Engel aus Breslau) 1999 den
Verein auflöste, bot er die Gedenktafel dem Imperial War Museum in London an. Von dort kam das Stück als
Dauerleihgabe an die Belsize Square Synagoge in Hampstead. Dahinter stand der Gedanke, dass die darauf verzeichneten Männer aus Deutschland und Österreich offiziell
jüdischen Glaubens waren - und die "New Liberal Jewish Congregation" 1939 von Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich gegründet worden war. Die auf den Namensschildern angegeben Männer
gehörten allerdings nie zu den Gemeindemitgliedern.
Der kleine blaue Pfeil zeigt auf den Namen "Otto Hess" auf der rechten Platte. Auf der linken Platte ist in der linken Spalte und in der 10. Zeile von oben der Name "Kurt E. Glauber" eingraviert. Dieser Name wird uns im Zusammenhang mit der offiziellen Würdigung von Ottos Einsatz noch ein mal begegnen.
Die Tapferkeits-Auszeichnung
Auf dieser Karteikarte des britischen Auslandsgeheimdienstes ist an der mit der Schreibmaschine vor-ausgefüllten linken Spalte "Award" schon zu erkennen, dass eine Auszeichnung von Anfang an vorgesehen war - und dass sie vom Geheimdienstchef "C" höchstpersönlich empfohlen wurde (rechte Spalte).
Das Stichwort "Commendation" steht für "King's Commendation for Brave Conduct" = sinngemäß: "des Königs Belobigung für Tapferkeit".
Diese Auszeichnungsart wurde 1939 von König Georg VI eingeführt "als Anerkennung für Tapferkeitsakte von Zivilisten und von Militärangehörigen unter nicht kriegsmäßigen Bedingungen in Kriegszeiten oder in Friedenszeiten, wobei das Handeln nicht durch eine sonst existierende Auszeichnung anerkannt werden kann".
Die Spalte "Date of gazette" bezeichnet die übliche Veröffentlichung der Auszeichnungs-Verleihungen in der Wochenzeitung "London Gazette".
Erst bei der handschriftlichen Eintragung des Veröffentlichungsdatums 6.6.46 hat der Schreiber wohl den Zusatz "posthum", die anderen Handschrifts-Ergänzungen und die Schwärzungen angebracht.
In den Kopfzeilen der Karte war unter GILES ebenfalls mit der Schreibmaschine eingetippt gewesen: HESS, Otto (Israel), die erste Personalnummer Ottos und "3 troop No 10 Commando, S.S.Bde."(=Special Service Brigade).
Die Veröffentlichung
Oben abgebildet ist die Veröffentlichung der Otto Hess unter seinem Tarnnamen Peter Giles posthum verliehenen Tapferkeitsauszeichnung: die letzten zwei Zeilen in der linke Spalte.
In dieser Beilage zur "London Gazette" wird eine so genannte Omnibus-Würdigung herausgegeben: man fasste die unterschiedlichsten Personen wie etwa Kriegsgefangene und Angehörige von Undercover-Organisationen zusammen, deren Namen erst nach dem Krieg bekannt werden durften.
Die andere, dem War Office zugeordnete Person ist jener Kurt Erich Glauber, der auch auf der Erinnerungstafel der Ex-Servicemen- N.B.-Vereinigung verzeichnet ist. Hier fällt auf, dass er immer noch mit der typischen 138-er Pioneer-Corps-Army-Nummer aus dem Jahr 1940 registriert ist - aber offiziell dem Royal Regiment of Artillery zugeordnet war. Ausserdem ist er mit seinem richtigen Namen genannt. Ottos 138-er Nummer war 1943 gleichzeitig mit der Zuordnung zur militärischen Tarneinheit geändert worden.
Durch den Bericht eines Augenzeugen gibt es Einblicke in die letzte Lebensphase Glaubers Anfang April 1945 - im österreichischen KZ Mauthausen!1
1Der Bericht stammt von US-Lieutenant Jack Taylor, der in Österreich zusammen mit drei Wehrmachts-Deserteuren die Mission DUPONT für die amerikanische Geheimorganisation OSS ausführen sollte. Taylors Informationen über Glauber sind bezeichnend. Offenbar war der auch unter seinem richtigen Namen auf eine britische ISLD-Mission in Österreich gegangen und hatte den militärischen Rang eines Lieutenant. Er sagte Taylor, er sei ein in Wien geborener britischer Staatsbürger und ISLD-Agent. Laut Taylor lebte Glauber noch Anfang April 1945, war aber "als Jude" bereits fürchterlich geschlagen worden und "krankenhausreif". Glauber war noch zuversichtlich, dass er auf die Krankenstation käme und dann nicht mehr arbeiten müsse... In den britischen amtlichen Unterlagen ist als Glaubers Todesdatum der 1. April 1945 angegeben.
Jack Taylor fand nach seiner Befreiung Anfang Mai 1945 heraus, dass er am 28. April mit 27 anderen zur Exekution vorgesehen gewesen war. Ein ihm freundlich gesinnter tschechischer KZ-Häftling hatte aber Taylors Unterlagen aus dem "Hinrichtungs-Stapel" entfernt und vernichtet.
Die verschwundenen Auszeichnungen...
Wegen seiner offiziellen Zugehörigkeit zu einer regulären Militäreinheit standen Otto auch die britischen Medaillen zu, die reguläre Soldaten üblicherweise für ihre Dienste während des Zweiten Weltkriegs und auf bestimmten Kriegsschauplätzen erhielten. Seiner Tarnlegende entsprechend waren das: der 1939-45 Star, der France and Germany Star, die Defence Medal und die War Medal. Etliche von Ottos ehemaligen Kameraden aus dem 3 troop hatten genau diese Gruppe von vier Medaillen bekommen. Man nahm sie dankend an - wusste aber, dass es sich nicht um Verdienst-Medaillen, sondern um Teilnahme-Auszeichnungen handelte. Also erhielten die "Orden" auch pragmatisch-humoristische Bezeichnungen wie "Gongs" (weil sie beim Tragen klimperten) oder "Cook-Medals". Dabei stand der britische Reiseveranstalter Cook als Synonym für die Army, die ihre Angehörigen ebenfalls auf Reisen geschickt hatte.
Das bronzene Eichenblatt der Tapferkeitsauszeichnung "King's Commendation" wurde so wie oben gezeigt auf dem Ordensband der War Medal getragen.
Nach Ottos Tod musste sein als Nächster Angehöriger registrierter Bruder Werner in den USA die Medaillengruppe und das Eichenblatt samt Zertifikat erhalten. Das geschah seltsamerweise aber erst im Dezember 1949 - rund fünf Jahre nach Ottos Tod!
Noch merkwürdiger ist die Tatsache, dass diese Erinnerungsstücke an Otto aus dem Hess-Familienbesitz verschwunden sind.
Wollten Werner und Mutter Marie so jegliches Gedenken an den Bruder und Sohn vermeiden? Sie hatten offenbar auch nie über Otto gesprochen...