Die große Überraschung!
Gegen Ende des Jahres 2001 erhielt ich einen Brief von einer Sylvia Skinner aus England.
Sie hatte meine Adresse von 3-troop-Veteran Ian Harris erhalten und wollte wissen, ob ich ihr bei den Nachforschungen nach der Herkunft ihres wahrscheinlichen Vaters helfen könne: Otto Hess alias Peter Giles!
Sylvia hatte kurz vorher erst die beim britischen Verteidigungsministerium noch vorhandenen Daten über den Militärdienst von Otto Hess bekommen. Dabei war auch der Geburtsort verzeichnet: "Mainz/ Germany".
Sylvia Skinners Vatersuche
Sylvia als "Poster Girl" für die Personalwerbung des Royal Automobile Club (RAC) im Jahr 1969.
Sylvia war im November 1943 in der südenglischen Küstenstadt Poole als "Rita Gillian Dear" geboren worden. Unmittelbar nach der Geburt wurde sie einer vorbestimmten Adoptivmutter übergeben, von der sie die Namen Sylvia Margaret French erhielt. Die Adoptivmutter war allein stehend und betrieb als ausgebildete Krankenschwester in Poole eine private Krankenstation. Später gab sie ihren Betrieb auf und arbeitete an mehreren Orten in England als Schwester in öffentlichen Krankenhäusern. Obwohl sie Sylvia wie ihr eigenes Kind aufzog, erzählte sie ihr schon bald, dass ihre leibliche Mutter, die mit einem Mann Namens "Dear" verheiratet war, sie nicht annehmen konnte. Ihr leiblicher Vater sei ein Schotte gewesen und während des Kriegs in Italien gefallen. Mit diesen Informationen über ihre Eltern lebte Sylvia auch noch, als sie 1971 den selbständigen Milchmann John Skinner geheiratet hatte und selbst einen Sohn (Adrian) bekam.
Als sie in der Mitte ihres vierten Lebensjahrzehnts war und ihr Sohn im Geschichtsunterricht an einem Projekt über den Zweiten Weltkrieg arbeitete, da fragte er auch nach seinem Großvater mütterlicherseits und dessen Lebensgeschichte... Weil Sylvia darauf keine richtige Antwort geben konnte, wurde ihr bewußt, dass sie selbst unter diesem Informationsmangel litt und mehr über ihren Vater wissen wollte. Ihre Adoptivmutter konnte sie nun aber nicht mehr befragen - die war schon 1971 gestorben. Wiederum einige Jahre später kam ihr die Idee, doch einmal in ihrer Geburtsstadt Poole nach ihrer leiblichen Mutter zu forschen, die dort ja noch leben und ihr vielleicht Auskunft geben konnte. Bei ihrer Suche nach dem genauen Wohnort der Mutter stieß sie auf wundersame Weise bald auf ihre Stiefschwester! So erfuhr Sylvia, dass sie auch noch einen älteren Stiefbruder hatte und dass die Mutter verheiratet gewesen war. In einer Novembernacht 1943 unter dem Sirenengeheul eines Luftangriffalarms sei die Mutter nicht da und von einem Baby die Rede gewesen, das die Kinder dann aber nie gesehen hätten. Der Vater sei zu dieser Zeit beim Militär in Übersee gewesen und kam nach dem Krieg nicht mehr zurück.
Von ihrer verleugneten, nun plötzlich aufgetauchten Tochter wollte die Mutter zunächst nichts wissen. Ein Treffen lehnte sie erst ab, stimmte dann aber doch zu und begrüßte Sylvia freundlich-reserviert. Der junge Mann, der das Kind gezeugt habe, hieß Peter Gillies, sagte sie auf Nachfrage...
Für Sylvia Skinner begann darauf ein langer Irrweg durch die vermutlich schottische Abstammung des Vaters und seinen mutmaßlichen Tod bei den Kampfhandlungen in Italien. Erst sieben Jahre später stellte sich heraus, dass der richtige Name "Giles" gewesen war - die Mutter ihn in der Aufregung aber falsch widergegeben hatte...
Endlich auf der richtigen Spur...
Gegen Ende der 1990er Jahre, als ich mich schon in die Geschichte des 3. Trupps und der nach Deutschland zurückgekommenen Veteranen vertieft hatte, begann für Sylvia das hoffnungsvollere Kapitel Ihrer Vatersuche. Der wahrscheinlich korrekte Name ermöglichte ihr eine Anfrage bei der britischen Kriegsgräberfürsorge (Commonwealth War Graves Commission). Die Antwort kam als gewaltige Überraschung: eine Opferbestätigung mit zwei Namen!
"Casualty Sergeant Otto Hess 6387034
Served with Queen's Own Royal West Kent Regiment
Also served with Att. No. 10 Commando
Died 1st October 1944
Commemorated in Holland
Served as Peter Giles"
Daraufhin begann nach und nach die Abfrage der genannten Qellen. Außerdem unternahm Sylvia mit ihrem Mann John nun keine Urlaubsreise mehr. Stattdessen besuchten sie das Regimentsmuseum der Queen's Own Royal West Kents und den Kanadischen Kriegsgräberfriedhof Groesbeek bei Nimwegen in Holland, auf dem sich eine Erinnerungsinschrift an ihren Vater befinden sollte. Man hatte ihr aber bereits mitgeteilt, dass die ihrem Vater zugeordnete Einheit nur Tarnzwecken gedient habe und dass er auf dem Friedhof nicht bestattet worden sei:
"Dort werden Gefallene der Commonwealth Landstreitkräfte geehrt, die auf dem Kriegsschauplatz in Nordwest-Europa vom Zeitpunkt des Seine-Übergangs Ende August 1944, während des Vormarsches durch die Niederlande und bis zum Ende der Kampfhandlungen in Deutschland fielen – aber kein Grab erhielten".