Meine Annäherung an den Ort Stübig - und an ein Rittergeschlecht, das sich nach dem Ort nannte
Wie bin ich überhaupt dazu gekommen, mich mit dem Ort Stübig zu befassen?
Mein Urgroßvater väterlicherseits stammte aus Fleißen im Egerland und wurde dort 1869 als österreichischer Staatsbürger geboren. Nach seinem Militärdienst in der K.u.K-Armee zog er in den 1890er Jahren nach Lorenzreuth bei Marktredwitz in Oberfranken. Dort heiratete er eine Frau aus dem Ort, und die Familie bekam sechs Kinder. Darunter war mein Großvater, Johann Karl Friedrich - oder kurz Fritz - Stübiger, der 1899 in Lorenzreuth geboren wurde. Auch er war noch Österreicher, wurde im Verlauf des Zweiten Weltkriegs zum Militärdienst eingezogen und diente 1917/18 an der italienischen Front im Friaul und bei Treviso. Im Jahr 1924 hat er sich einbürgern lassen und wurde Deutscher.
Mein Großvater und seine ältere Schwester haben innerhalb unserer Familie zwei Überlieferungen weiter gegeben:
- Die Stübiger stammen aus dem Ort Stübig bei Scheßlitz in Oberfranken
- Unser Hausname in Fleißen lautete "Moritz" und unser Hof war der "Moritzenhof".
Im Egerländer Dialekt klingt das dann so ähnlich wie "Mouratzenhuef"
An Abstammungsdokumenten besaßen wir nur zwei so genannte Ariernachweise aus der NS-Zeit, die bis 1810 zurück reichten. Sonst war über unsere Vorfahren nichts bekannt.
Anfang der 1980er Jahre kam ich in eine erste Existenzkrise. Da verlor ich durch "höhere Gewalt" meinen Arbeitsplatz in Nürnberg, fing unter äußerst ungünstigen Bedingungen eine neue Stelle an einer Werbeagentur in Hamburg an - und wurde krank vom Stress, der sich daraus ergeben hatte.
Diese Erfahrungen haben mein Selbstwertgefühl wohl so erschüttert, dass ich plötzlich wissen wollte:
Wer bist Du? - Woher kommst Du? - Wer sind Deine Vorfahren?
Als ersten Ansatz für meine Familienforschung hatte ich nur unsere beiden Dokumente. Die stammten vom Evangelischen Pfarramt Bad Brambach an der Südwesttecke des sächsischen Vogtland. Der Ort liegt unmittelbar an der Grenze zu Tschechien und damit dem früheren Egerland in Böhmen. Nur rund zwei Kilometer entfernt jenseits der Grenze befindet sich "Fleißen", die Heimatgemeinde unserer damals bekannten Vorfahren im Egerland.
Bis zur Mitte der 1830er Jahre gab es dort keine eigene Kirche. Der ganze Ort war auch nach der Gegenreformation evangelisch geblieben und bildete ein Art sächsische Enklave im böhmisch-katholischen Umland. Alle Geburten, Taufen, Hochzeiten und Todesfälle wurden "drüben" in der Evangelischen Brambacher Kirche abgewickelt. Das bedeutete: Dort gab es auch die Kirchenbücher mit den entsprechenden Aufzeichnungen.
1983 war Bad Brambach für uns aber auch noch "Drüben", sprich: Staatsgebiet der DDR. Nichtsdestotrotz entschloss ich mich zu einer schriftlichen Anfrage bei den DDR-Behörden wegen einer Einreise zur Familienforschung in Bad Brambach.
Kurz gesagt: 1984 wurden wir Gäste der Pfarrerfamilie Albrecht im großen alten Pfarrhaus in Bad Brambach und erhielten Abschriften aller Kirchenbucheintragungen, die es über unsere Vorfahren gab.
Aus der ältesten Eintragung vom Jahr 1653 ergab sich eine Zuwanderung aus dem Ort Eichigt im Vogtland, rund 40 Kilometer nordwestlich von Fleißen:
Nickel "Stübers" in Eichigt hinterlassener ehelicher Sohn Hans heiratet in Fleißen fünf Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs Margretha Krail, die aus einer alteingesessenen Familie des Orts stammt. Aus dem Heiratsjahr des Sohns kann man ableiten, dass der Vater Nickel so um 1600 geboren sein dürfte.
Er ist damit der älteste bisher in genealogischer Reihe ermittelte Vorfahre.
Sein Sohn übernahm einen der Urhöfe von Fleißen, die nach dem Dreißigjährigen Krieg leer standen. Dieser Hof gehörte ursprünglich der Familie Fischer und trug wohl schon den Hausnamen "Moritz". Unter der Eigentümerschaft der Stübiger entstand ein repräsentativer Neubau und später ein zusätzliches Gebäude, so dass ein stattlicher Vierseithof zustande kam. Ab 1699 diente der Moritzenhof als Haltestation der Pferdepost von Adorf nach Eger.
Merkwürdig ist einerseits, dass der in Eichigt gestorbene Nickel und sein Sohn Hans den Familiennamen "Stüber" tragen - andererseits zeigt sich aber auch gleich eine Namensveränderung bei Hans Stübers Sohn Michael: von 1675 bis 1691 erhielt dieser Michael bei den Einträgen in die Kirchenbücher erst den Nachnamen Stieber, dann Stiebicher und schließlich Stübiger!
Verwechslungen sind dabei definitiv ausgeschlossen!
Ein derartiges Phänomen ist nur so erklärbar, dass Stübiger ein vom Ortsnamen Stübig abgeleiteter Herkunfts- oder Wohnstättenname ist und dass ein uraltes Abstammungs- und Namensbewusstsein mündlich über längere Zeit immer wieder weiter überliefert wurde - bis die beurkundeten Personen schließlich selbst den richtigen Namen und die richtige Schreibform bestimmen konnten.
Wie kann man sich die Veränderung des Namens Stübiger zu Stüber erklären?
In früheren Jahrhunderten konnte es leicht zu Namensveränderungen kommen, die dann unter Umständen lange Zeit unbemerkt blieben oder sich sogar verselbständigten. Damals konnte kaum jemand schreiben und lesen. Wenn überhaupt, entstanden Urkunden nur als Belege für die Rechtshandlungen höherer Stände mit Macht, Besitz und Vermögen. Schreib- und lesekundige Mönche, Kaplane und Pfarrer oder auch hauptamtliche Kanzleischreiber ("Notare") brachten die Texte auf Pergament, dann wurden sie vorgelesen und von den Beteiligten gesiegelt. Über die niederen Stände wie abhängige Bauern, Knechte, Mägde, Taglöhner, Handwerker usw. gab es in der Regel keinerlei Aufzeichnungen.
Zur Mitte des 16. Jahrhunderts begannen die Pfarrer in den Kirchengemeinden, Aufzeichnungen über Geburten, Taufen, Hochzeiten und Todesfälle der Gemeindemitglieder zu führen. Dabei waren die Pfarrer oft selbst nicht besonders geübt und schrieben sehr unleserlich. Zudem haben sie die Namen so geschrieben, wie sie ihnen vom "Hörensagen" bekannt waren oder wie sie ihnen genannt wurden. Das geschah meistens im Dialekt und vielleicht sogar noch nuschelig, schnell, verwaschen oder stotternd. Deshalb sind "Ver-Schreibungen", Verkürzungen und Namens-Veränderungen auch in den Kirchenbüchern noch häufig vorgekommen. Feste Familiennamen in unserem heutigen Sinn entstanden häufig erst im Lauf des 17.Jahrhunderts.
Aus der nun wieder Stübiger genannten Stammfamilie entwickelten sich über die Jahrhunderte elf Linien mit eigenen Haus-/ Berufs- und Spitznamen. Man heiratete nicht untereinander. Angehörige der Großfamilie waren bis zur Vertreibung im Jahr 1946 Posthalter, Richter, Gerichtsgeschworene, Schneidermeister und Meister der Strumpfwirkerzunft, Weber, Textilfabrikanten, Tapisseriewarenhersteller, Musikinstrumentenbauer, Frächter, Lehrer, Zahnärzte, Bürgermeister und auch Bauern.
Eine weitere Forschung nach Nickel Stüber in den Kirchenbüchern von Eichigt war leider nicht möglich, weil dort im Jahr 1678 alle bis dahin vorhandenen Aufzeichnungen verbrannt sind. Eichigt soll Ende des 12. Jahrhunderts gegründet worden sein, als die Vögte von Weida hier Bauern aus Oberfranken ansiedelten. Dieser "Ort im Eichenholz" besaß um 1240 bereits eine Pfarrei und eine Kapelle. Das Kirchlein "Santa Katharina" war eine von sieben Filialen der Mutterkirche in Hof und gehörte noch zum Bistum Bamberg. Im 16. Jahrhundert gehörte das Dorf zum sächsisch-wettinischen Amt Voigtsberg oder Vogtsberg, das von der gleichnamigen Burg bei Oelsnitz aus verwaltet wurde. Im so genannten Erbbuch des Amts von 1542 sind die "Mannschaften" aller Dörfer namentlich verzeichnet. Aber weder für Eichigt noch für die anderen Orte wird eine Person namens Stüber genannt. Demnach war Eichigt offenbar nur ein vorübergehender Wohnsitz nach 1542 gewesen.
Bei diesem Erkenntnisstand ist es dann fast zwei Jahrzehnte lang geblieben, weil ich aus beruflichen und familiären Gründen keine Zeit mehr gefunden habe, die Familienforschung fortzusetzen. Das änderte sich erst in den 1990er Jahren, nachdem ich einen noch schlimmeren beruflichen Tiefschlag bekommen hatte als Anfang der 1980er und ich mich danach zum zweiten Mal in meinem Berufsleben selbständig gemacht hatte.
Inzwischen war mir bekannt, dass Dr. Helmut Kunstmann und Dr. Gustav Voit in den vergangenen Jahrzehnten umfangreiche Forschungen über die Burgen-, Adels-, Orts- und Landesgeschichte der Fränkischen Schweiz betrieben und eine Reihe von Büchern darüber veröffentlicht hatten. Vielleicht konnte ich über diese Experten und ihre Werke ja eine Bestätigung dafür bekommen, dass die Stübiger tatsächlich aus Stübig stammten...
Dr. Kunstmann war bereits verstorben - also schrieb ich an Dr. Voit und bat ihn um seine Stellungnahme. Seine Antwort aus dem Jahr 1997 hat mich zunächst sehr verblüfft:
Abstammung aus einer Niederadelsfamilie, die sich nach ihrem Herkunftsort oder Stammsitz Stübig nannte. Die Namensform "Stübiger" stellt lediglich eine umgangssprachliche Wendung und so etwas wie einen Über- oder Gruppennamen dar. Bei den Recherchen für seine Bücher "Der Adel am Obermain" und "Die Schlüsselberger" war Voit im Quellenmaterial auch auf die Stübig gestoßen und hatte eine Generationenfolge von 18 Personen über einen Zeitraum von 1219 bis etwa 1370 zusammengestellt.
Die Besonderheit dabei ist, dass die Personen mit Wechsel- und Doppelnamen erscheinen: "Stübig" und "Neideck".
Als Familienname überwiegt allerdings Stübig. Häufig wird auch eine Zusatzbezeichnung wie "Vogt zu Neideck", "zu Neideck" oder etwa "Burgmann zu Neideck" verwendet. Nur vier Personen tragen ausschließlich den Namen Neideck.
Die älteste von Voit ermittelte Person erscheint im Jahr 1219: ein Heinrich "de Nidecche" - also "von Neideck" - der dreimal als Zeuge für den Bamberger Bischof Ekbert von Andechs auftritt. Die Quellen besagen, dass die Stübig/ Neideck so genannte Dienstleute waren - zuerst für die Bischöfe von Bamberg, dann für die Edelherren von Schlüsselberg und nach dem gewaltsamen Tod des letzten Schlüsselbergers Konrad des Zweiten 1347 wieder für die Bamberger Bischöfe. Dienstleute werden in der Historiker-Fachsprache "Ministerialen" genannt. Sie stammten ursprünglich aus dem Bauernstand, übernahmen für höher Stehende Amts-, Verwaltungs-, Bewachungs-, Schutz und Kriegsaufgaben und stiegen dadurch zu Angehörigen einer untersten Adelschicht auf. Weil sie Pferde und militärische Ausrüstung unterhalten, ihren Dienst überwiegend beritten ausüben und jederzeit als geübte Soldaten zur Verfügung stehen mussten, zählten die Ministerialen auch zur Gesellschaftsgruppe der Ritter.
Danach war für mich einige Jahre lang wieder keine Zeit mehr für die Familien- und Abstammungsforschung.
Erst ab 2002 konnte es weiter gehen - mit eigenen Literaturrecherchen, Nachfragen bei Archiven und der Absicht, mit Gustav Voit über Unklarheiten zu sprechen. Da musste ich allerdings erfahren, dass er im Jahr 2001 verstorben war - und hätte mich ohrfeigen können, weil ich es versäumt hatte, ihn schon früher noch ein mal um seine Hilfe zu bitten...
Im Lauf der nächsten Jahre ist es mir aber gelungen, noch einige grundlegende Zusatzinformationen zu sammeln.
So sind aus Archivunterlagen noch acht weitere Personen mit dem Namen Stübig und eine weitere Person mit dem Namen Neideck zu Tage gekommen.
Bei der von Gustav Voit aufgestellten Stammtafel war ja nach Heinrich de Nideccke von 1219 eine große Generationenlücke bis zum Erscheinen der ersten Doppel- und Wechselnamen Stübig-Neideck ab 1303 in Verbindung mit der Burg Neideck geblieben. Und daraus konnte man durchaus die Frage ableiten, ob denn die Neideck und die Stübig überhaupt aus einem Geschlecht stammten? Immerhin fand ich noch ein mögliches Bindeglied: einen "Heinrich von Stubewege", Kanoniker des Domstifts Würzburg, der 1246 als Zeuge für Bischof Hermann den Ersten von Würzburg erscheint. Mit ihm haben wir die erste beurkundete Person, die sich nach dem Ort Stübig nennt!
"Stubewege" ist eine Ableitung aus dem mittelhochdeutschen Wort "Stubich", was so viel bedeutet wie "Reisig" - aber als Ortsname sicher ein Landschaftsmerkmal bezeichnet: möglicherweise ein Föhrenwäldchen oder ein Heckengestrüpp.
Die Schreibformen des Ortsnamens in den Urkunden lauteten:
Stubeigen - Stubeich - Stubewech - Stubweg - Stuberge - Stubegen und sogar Aubege
Die Schreibformen des Familiennamens in den Urkunden und Siegeln des 14. Jahrhunderts lauten:
Stubech, Stubeche, Stuberch, Stubich, Stupic, Stubch, Stuebch (geschrieben mit den Buchstaben "u" und hochgestelltem "e" und auch mit dem Umlaut "ü"), Stübich,
Stübisch, Stübeg, Stubichiun, Stübig.
Außerdem habe ich mich an Sprachwissenschaftler, Namenkundler und weitere Experten gewandt:
an den deutschen "Wappenpabst" - den Heraldiker Eugen Schöler - und an Professor Ingolf Ericcson vom "Lehrstuhl für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit an der Universität Bamberg". Durch die Unterstützung Professor Ericcsons bekam ich den Ergebnisbericht der letzten Grabungskampagne auf der Ruine Neideck von 1998 bis 2000. Und durch Eugen Schöler habe ich von der 1997 erschienenen Studie von Wolfhardt Vahl über Fränkische Rittersiegel des 13. und 14. Jahrhunderts erfahren.
Diese beiden Unterlagen brachten schließlich wichtige Informationsbausteine:
Nach den archäologischen, baugeschichtlichen und bautechnischen Befunden ist Heinrich de Nideccke (oder dessen Vater) gegen Ende des 12. Jahrhunderts der wahrscheinliche Erbauer einer Kleinburg, von der heute noch der größte Teil eines Wohnturms erhalten ist.
Dieser Turm der Ruine Neideck gilt schon seit dem 19. Jahrhundert als das Wahrzeichen der Fränkischen Schweiz!
Der damaligen Tradition entsprechend nannte sich die Familie nach ihrem neuen Ansitz. Neideck bedeutet: "umkämpfte, beneidete Burg". "Neid-Eck" ist ein typischer Burgen-Trutzname des 12. Jahrhunderts, der auch anderswo in Deutschland und in Österreich noch vorkommt. Ältere Burgennamen des Mittelalters haben typischerweise die Endung "-stein" wie etwa bei Greifenstein und jüngere die Endung "-fels" wie bei Wiesentfels.
Wolfhardt Vahl hat für den fränkischen Niederadel zwischen Regnitz, Pegnitz und dem Obermain kein Siegel einer Familie Neideck ermitteln können.
So wurde klar, dass Gustav Voit ausgerechnet bei den Stübig ein kapitaler Fehler unterlaufen ist: in seinen Büchern hatte er den Stübig nämlich das Wappen eines Adelsgeschlechts Neideck aus der Mark Krain im heutigen Slowenien zugeordnet und sie inhaltlich auch unter Neideck aufgeführt.
Die Untersuchung von Vahl brachte aber 11 Siegel von Angehörigen der Familie Stübig erstmals an die Öffentlichkeit. Sie stammen allerdings erst aus dem 14. Jahrhundert.
Das Wappenbild der Stübig ähnelt dem der Familie Förtsch von Thurnau, deren Vorfahren sich Briswizze (Preuschwitz) und Menigen (Menchau) nannten und spätestens 1149 Ministerialen der Grafen von Diessen und Andechs geworden waren.
Die Andechser waren durch Heirat zum Erbe der ehemaligen Grafen von Schweinfurt in Oberfranken gekommen. Dazu gehörten die Burgen Giech und Lichtenfels, die Stadt Scheßlitz, Ländereien um die Plassenburg in Kulmbach und um Bayreuth und die Grafschaft im Radenzgau. Nach 1130 begannen die Andechser mit dem Aufbau eines Territoriums, das bis 1248 bestehen sollte. Damals ist Herzog Otto der Achte von Meranien, Graf von Andechs, Markgraf von Istrien und Pfalzgraf von Burgund auf seiner Burg Niesten bei Weismain unter mysteriösen Umständen gestorben. Nach seinem Tod begann sofort ein gnadenloser Krieg um das Andechser Erbe in Oberfranken. Im Mittelalter wurden zur Durchsetzung von Ansprüchen und Forderungen allgemein kriegerische Machtmittel eingesetzt. Zu Verhandlungen und Vermittlungsbemühungen kam es häufig erst dann, wenn die Gewalt zu keinem Ergebnis geführt hatte.
Durch den Territoriumsaufbau ab 1130 entstand großer Bedarf an tapferen, kampfwilligen Untertanen, die in die Dienste dieser Herren treten und davon profitieren wollten. Darunter waren nicht nur die Förtsch - sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Stübig!
Die Studie Wolfhard Vahls hat nämlich ergeben, dass die Wappenbilder der Förtsch und der Stübig sehr ähnlich aussehen. Und das bedeutet in der Heraldik, dass die betreffenden Familien mit hoher Wahrscheinlichkeit verwandt sind!
Nachdem sie in den Quellen früher erscheinen, waren wohl die Förtsch das Geschlecht, aus dem die Stübig abstammen.
Weil die Gefolgsleute der Andechser 1149 an den Kämpfen gegen bischöfliche Truppen um die Burg Giech beteiligt waren, könnte sich ein Förtsch-Angehöriger im nahe gelegenen Stübig niedergelassen, nach dem Ort seines Ansitzes genannt und so den Familienzweig der Stübig begründet haben.
Wechselnde Zunamen nach einem Ortswechsel und neuen Ansitzen kamen häufig vor. Zum Beispiel erscheinen die Edelherren Schlüsselberg im Lauf ihrer Familiengeschichte zuerst als "Othlohesdorf", das heißt: Adelsdorf, nannten sich dann später "Crutsare", das heißt: Creussen, und schließlich auch noch nach einer Burg - nämlich "Greiffenstein".
In unserem Fall wäre der Name Stübig schon ab 1150 anzunehmen. Und beim Namen Neideck aus dem Jahr 1219 handelt es sich dann bereits um einen Wechselnamen. Wie schon die Förtsch und die Stübig steht auch dieser Heinrich de Nidecche mit den Andechsern in Verbindung - dieses Mal aber mit einem Bischof aus dem Geschlecht der Grafen und späteren Herzöge.
Bischof Ekbert war der zweite von drei Angehörigen der Familie, die das Bischofsamt ausübten, so dass von 1177 bis 1245 ganz Oberfranken unter der geistlichen Herrschaft der Andechser stand.
Wie schon erwähnt, wissen wir von den Archäologen, dass der älteste Bauteil der Burg Neideck mit dem Wohnturm in der zweiten Häfte oder gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstanden sein dürfte. Und hier kommt Otto der Zweite ins Spiel: der erste Bamberger Bischof aus dem Haus Andechs. Er regierte das Hochstift von 1177 bis 1196 und könnte einen seiner Ministerialen aus der Familie Stübig direkt oder indirekt zum Bau der Burg veranlasst haben. Die Bauausführung des Wohnturms spricht jedenfalls für einen Bauherren mit bescheideneren finanziellen Mitteln - wie einen weniger begüterten Ministerialen. Leider sind aber bis zum Jahr 1249 keinerlei Schriftquellen über die Burg vorhanden.
Das wirklich Spannende an diesem Heinrich als Dienstmann des Bischofs Ekbert aber ist, dass er im Jahr 1219 gleich in mehreren Urkunden erscheint. Daraus zeigt sich ein besonderes Vertrauensverhältnis des Bischofs zu ihm. Und das ist möglicherweise durch vorausgegangene gemeinsame Erlebnisse in schweren und abenteuerlichen Jahren entstanden - nach einer für Bischof Ekbert äußerst gefährlichen Episode.
Begonnen hatte alles im Jahr 1208 - mit dem Mord an König Philipp von Schwaben in Bamberg, der zur Vermählung seiner Nichte Beatrix mit dem Andechser Herzog Otto dem Siebten gekommen war. König Philipp hielt sich mit wenigen Gefolgsleuten als Gast Bischof Ekberts auf der Domburg auf, als der Pfalzgraf Otto von Wittelsbach die Wohnräume betrat. Bei ihm waren der Herzog von Bayern, Markgraf Heinrich von Istrien, der Bruder Bischof Ekberts, und zehn Bewaffnete. Im Kabinett des Königs zog Otto von Wittelsbach sein Schwert, durchbohrte den König und verletzte den zu Hilfe eilenden Truchseß. Er wollte sich offenbar an Philipp rächen, weil der König die Verlobung Ottos mit einer seiner Töchter aufgelöst hatte. Dem Mörder und seinen Dienstmännern gelang die Flucht. Aber die völlig schockiert zurückgebliebenen Andechser wurden sofort verdächtigt, vom Vorhaben gewusst und den Anschlag unterstützt zu haben. Anfang 1209 verhängte man die Reichsacht über Ekbert und seinen Bruder. Um noch Schlimmerem zu entgehen flüchteten die beiden an den Hof ihres Schwagers König Andreas von Ungarn. Erst 1212 erreichten die Andechser durch die Vermittlung des Papstes ihre Lösung aus der Reichsacht und konnten zurückkehren. Nachdem Ekbert auf seiner heimlichen Fluchtreise nach Ungarn mit Sicherheit von einer Eskorte berittener und bewaffneter Dienstmänner begleitet wurde, könnte es sein, dass auch unser Heinrich Neideck dabei gewesen war und dann an die vier Jahre in Ungarn zugebracht hatte.
Das Jahr 1217 mag für ihn aber eine noch viel größere Bewährungsprobe als getreuer Vasall seines bischöflichen Herren gebracht haben: Da entschlossen sich Herzog Otto der Siebte sowie seine Brüder Ekbert und Heinrich, ihren königlichen Schwager aus Ungarn bei einem Kreuzzugsunternehmen ins Heilige Land zu begleiten.
Die Andechser sahen darin wohl so etwas wie eine Dankwallfahrt dafür, dass sie vom Verdacht der Mittäterschaft beim Mord an König Philipp völlig reingewaschen worden waren. Bei diesem Unternehmen wird das Kontingent Bischof Ekberts sicher an die 100 Männer seines Gefolges umfasst haben: Lanzenreiter und andere Waffenträger zu Pferd, Waffenknechte und Schildknappen. Darunter mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Heinrich Neideck. Die kleine Heerschar schiffte sich in Spoleto (= Split in Dalmatien) zur Fahrt über das Mittelmeer ein. In Palästina beteiligten sich Ungarn und Andechser an kriegerischen Einsätzen rund um den See Genezareth - und Herzog Otto machte die Erstürmung einer Sarazenenfestung auf dem Berg Tabor mit. Anfang 1218 kehrten sie wieder in die Heimat zurück.
Als ich die Information über das Kreuzzugsunternehmen und den Hinweis auf den Berg Tabor las, hat mich das sehr berührt. Denn auch ich war dem Berg schon sehr nahe gewesen: im Jahr 1971 während meines Aufenthalts als freiwilliger Mitarbeiter im Kibbuz Yifat in Israel. Zu dieser Zeit habe ich ungefähr eine Woche lang in den Baumwollfeldern im Jesreeltal gearbeitet und hatte dabei den majestätischen Anblick des Tabor immer vor Augen. Da ist es schon ein eigenartiges Gefühl, sich vorzustellen, dass vor vielen hundert Jahren bereits ein Vorfahre dort gewesen war, sich mit fränkischem Kreuzfahrervolk einen Weg durch die Sümpfe bahnte, die sich damals noch im Tal ausbreiteten, und vielleicht sogar beim Erstürmen der Tabor-Festung auf Leben und Tod Auge in Auge mit den verteufelten, dunkelhäutigen Sarazenen gekämpft hat.
Doch nun weiter mit der Familiengeschichte der Stübig und Neideck:
Nach 1219 gibt es keine weitere Urkunde mehr über die Neideck - weder über die Familie noch über die Burg. Aus dem Jahr 1249 erfahren wir aber, dass der Bamberger Bischof Heinrich der Erste von Bilversheim offenbar über die Burg verfügen konnte, denn er verpfändete sie langfristig an die Edelherren von Schlüsselberg. Damals begann der Krieg um das Erbe der Andechs-Meranier - und es bestand die Gefahr, dass das Territorium des Bistumsstaats in mehrere weltliche Teilstaaten auseinander gerissen würde. In dieser Notlage suchte der Bischof Waffenhilfe, um die ehemals verlehnten Grafschaften, Burgen, Orte, Güter und Ländereien wieder für das Bistum zu gewinnen. Gegen Geldzahlungen und das Überlassen von Burgen gewann er unter anderen auch die Herren von Schlüsselberg als Bundesgenossen.
Die Neideck müssen also ihre Burg schon vor 1249 an den Bischof verpfändet oder verkauft gehabt haben. Anzunehmen ist, dass sie unter der Eigentümerschaft der Schlüsselberger weiter als deren Burgvögte auf der Neideck geblieben sind und in der Umgebung auch noch so genannte Burggüter als Dienstlehen bewirtschafteten.
Vielleicht nannten sich die Neideck dann auch schon wieder Stübig, weil ihnen ja die Burg Neideck nicht mehr gehörte. Die Bestätigung dafür könnte die ab 1303 einsetzende Fülle von Urkunden liefern - über eine große Zahl von Personen mit dem Namen Stübig auf der Burg, die über viele Generation hinweg mit ihr in enger Verbindung stehen - erst als schlüsselbergische und dann wieder als bischöfliche Dienstleute.
Jedenfalls kann man daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass im 14. Jahrhundert nicht plötzlich fremde Leute Ämter übernehmen, sondern offensichtlich Angehörige
eines Geschlechts, das aus einer Vorgeschichte heraus ganz enge Beziehungen zur Neideck besitzt und eine Familientradition fortsetzt.
Bei den wenigen Personen mit dem alleinigen Namen Neideck aus dem 14. Jahrhundert handelt es sich entweder tatsächlich um Fremde, die den Namen wegen ihrer Ämter auf der Burg Neideck führen - oder um einen Zweig der Stübig, für den die Familiengeschichte keine Bedeutung mehr hatte.
Wie steht es nun aber um die einzige nachweisbare Nennung eines Familiennamens Stübig aus dem 13. Jahrhundert: den Würzburger Geistlichen Heinrich von Stubewege von 1246?
Diese Urkunde beweist immerhin indirekt, dass die Stübig schon vor 1246 einen Wohnsitz am Ort Stübig besessen haben müssen.
Bei diesem Heinrich kann es sich um einen zweitgeborenen Sohn der Stammfamilie handeln, der durch gewisse Beziehungen nach Würzburg dort ins Domstift aufgenommen wurde
Möglicherweise gab es sogar einen Zweig der Stübig, der von der Mitte des 12. Jahrhunderts mindestens bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts rund 100 Jahre am Ort Stübig lebte - und nicht mit dem Erbauer der Burg Neideck spätestens gegen Ende des 12. Jahrhunderts ins Wiesenttal abgewandert war.
Der Ort Stübig wird im Jahr 1157 in der Namensform "Stubeg" erstmals urkundlich erwähnt.
Wie schon besprochen, dürften sich einige Jahre zuvor - etwa 1149/1150 - die Familienangehörigen der Briswize (später Förtsch) hier niedergelassen haben,
die dann den Namen Stübig führten. Eine Siedlung am Ort Stübig hat es aber sicher schon lange vor 1157 gegeben. Siehe Menüpunkt "Der Ort Stübig"!
Wie kann der Ansitz der Stübig ausgesehen, wo kann er gestanden haben - und welche Spuren mögen davon noch zu finden sein?
Bei den Personen, die sich in Stübig ansiedelten, wird es sich um eine junge Familie gehandelt haben, deren Oberhaupt sich im Kampfeinsatz für die Andechser ausgezeichnet hatte und als Belohnung dafür Landbesitz und Güter am Ort als Lehen bekam. Als Aufsteiger hatten sie wahrscheinlich nicht die Mittel zum Bau eines Ansitzes aus Stein. So ist erst vielleicht nur ein größeres, von Palisaden umgebenes Holzhaus entstanden - oder eine so genannte Turmburg aus Holz auf einem Erdhügel - in jedem Fall aber an einem prominenten Standort und in der Nähe des Bachlaufs innerhalb oder nahe bei der schon vorhandenen Siedlung. Möglicherweise hat man auch eine inselartige Landfläche zwischen zwei Bacharmen genützt. Später könnte die Holzburg in einen stattlicheren Wohnturm mit steinernen Untergeschossen und Fachwerk-Aufbau umgewandelt worden sein.
Neben ihrem Ansitz besaßen die Stübig wahrscheinlich auch einige der elementaren Güter am Ort. Vielleicht die Schmiede und eine der Mühlen. Wenn Ihnen eine Mühle gehörte, könnte der Ansitz bewusst in deren Nähe gelegt worden sein.
Der untere Mühlenstandort ist deswegen besonders interessant, weil nur etwa 100 Meter entfernt davon vor dem heutigen Ortseingang im Südwesten archäologische Funde zu Tage gekommen sind, die beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege als Belege für eine aufgegebene Siedlung des Spätmittelalters angesehen werden.
Was den Stübig einst gehört haben mag, wird durch eine andere Quelleninformation vielleicht deutlich: Von 1322 bis nach 1330 übertragen und verkaufen Angehörige einer Familie Peulendorf Lehen in Stübig an das Kloster Michelsberg. Insgesamt zwei Güter, eine Hube Land und auch "die niedern Mul" - das heißt: die Untere Mühle!
Die Peulendorf saßen damals zu Scheßlitz und zu Stübig - hatten möglicherweise sogar den einstigen Besitz der Stübig zu Lehen - nannten sich aber weiter nach Peulendorf, wo sie keinerlei Besitz mehr hatten! Wir haben hier also die Analogie zu den Stübig, die im 14. und 15. Jahrhundert auf Neideck sowie auf weiteren Burgen und Burggütern unter ihrem Herkunftsnamen saßen, wobei am Namen gebenden Herkunftsort kein Besitz nachweisbar ist!
Ihren eigentlichen Wohnsitz bzw. ihre Kleinburg könnten die Stübig schon in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts verkauft haben, weil damals Geld für den Bau der neuen Steinburg Neideck im Wiesenttal gebraucht wurde. Und möglicherweise haben ihn damals schon die Ochs von Gunzendorf gekauft. Dieser Familie jedenfalls hat eine Kleinburg in Stübig gehört, die 1430 von Eberhard Groß in einer Fehde mit Ulrich Ochs zerstört wurde. Die Stübig und die Ochs dürften mindestens gute Bekannte und Freunde gewesen sein - wenn nicht sogar Verwandte. So kann man sich sowohl den Verkauf erklären als auch die gemeinsamen Burghüterdienste der Familien auf der Burg Neideck im 14. Jahrhundert...